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„Wir sind bestrebt, uns den zukunftsträchtigen Märkten zu widmen. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen ist Russland für die Wirtschaft in unserem Einzugsgebiet von größerer Bedeutung“, so Gerhild Feuerstein, Studiengangsleiterin an der FH Vorarlberg. (Notiz aus einem Zeitungsartikel vom 10. Mai dieses Jahres.)
Mit dem Fallen des Eisernen Vorhangs vor fast 20 Jahren hat in Europa
eine neue Entwicklung begonnen, an der Österreich einen wichtigen
Anteil hatte. So wie die Wirtschaft eine führende Rolle im
Einigungswerk Westeuropas gespielt hat, hat sie auch ein neues
Geflecht von Beziehungen zwischen West- und Osteuropa geschaffen.
Auch für die Wissenschaft wurde Europa zu einem Großraum, für
Kunst und Sport waren die letzten Barrieren gefallen. Damit konnten
sich Menschen aus allen Regionen unseres Kontinents begegnen.
Auf
der politischen Ebene hat uns der Beitritt vieler Staaten des
östlichen Mitteleuropas und Südosteuropas zur Europäischen Union
mit Völkern und Menschen verbunden, die von der
griechisch-byzantinischen Kultur geprägt sind.
Die Bedeutung der Wirtschaft und der genannten anderen Lebensbereiche soll nicht herabgemindert werden. Wachen und engagierten Zeitgenossen wird dies aber zu wenig erscheinen, um der Idee einer europäischen Friedensordnung eine den ganzen Menschen erfassende Kraft zu geben.
Werden aber nicht, wenn von Europa als einem eigenen Kontinent gesprochen wird – was rein geographisch ja nicht zutrifft –, u.a. seine jüdisch-christlichen Wurzeln beschworen? Hier, in der Zeitung der Diözese Feldkirch, dürfen wir nach dem Beitrag der Christenheit, der Kirche(n), zur gemeinsamen Bewältigung der Probleme unseres Kontinents fragen. Mit dieser Frage müssen wir praktisch wieder an den Start zurückkehren, denn auch in der Landschaft der Christenheit Europas finden wir Grenzen und Gräben vor. Ein häufig wenig liebevolles Verhalten hat in Vergangenheit und auch in der Gegenwart zu zahlreichen Verletzungen geführt.
Ein ökumenischer Rundblick würde hier zu weit führen. Das Augenmerk soll in erster Linie der Auseinandersetzung und Begegnung zwischen der westlich-lateinischen – also der katholischen und evangelischen – und der östlichen griechisch-byzantinischen Christenheit gelten, die sich als orthodox bezeichnet.
Der von Kardinal König initiierte Stiftungsfond Pro Oriente hat seit dem 2. Vatikanum auf wissenschaftlicher Ebene und durch Begegnungen hochrangiger kirchlicher Persönlichkeiten einen hervorragenden Beitrag zum gegenseitigen Verstehen geleistet.
Weniger öffentlichkeitswirksam bemüht sich seit mehr als 80 Jahren das Werk der päpstlichen Ostkirchenkongregation Catholica Unio dem gläubigen Volk im Westen, Eigenart und Situation der östlichen Kirchen zu vermitteln. Die Schwerpunkte dieses Bemühens lassen sich mit den drei Verben „Kennen“, „Begegnen“, „Helfen“ umschreiben.
Die Kenntnis der östlichen Christenheit ist tatsächlich noch sehr dürftig und von zahlreichen positiven und negativen Vorurteilen durchsetzt. Oft wird auch ein deutliches Desinteresse bekundet. Leider sieht es diesbezüglich auch bei vielen Theologen nicht besonders gut aus. Dass eine derartige Haltung auf die Menschen in Ost- und Südosteuropa verletzend wirkt, kann man sich wahrscheinlich vorstellen, ist doch die Kultur des griechisch-byzantinischen Europa vom christlichen Glauben durchtränkt.
Wer an Gottesdiensten, Festen und anderen Formen der Begegnung mit östlichen Christen in ihrer oder unserer Heimat teilgenommen hat, weiß, wie sehr sie sich darüber freuen, dass sie nicht vergessen sind.
Mit der materiellen Hilfe hat die Geschichte der Catholica Unio begonnen. Als nach der Oktoberrevolution in Russland zahlreiche Flüchtlinge aus dem ehemaligen Zarenreich in den Westen kamen, war es auch für Katholiken selbstverständlich, so gut wie möglich zu helfen. Der Benediktiner Augustin von Galen, Bruder des nachmaligen Bischofs und „Löwen von Münster“ in Westfalen, gründete 1924 in Wien ein Hilfswerk für russische Emigranten, verbunden mit der Zielsetzung der Einheit der Christen. Die damalige Vorstellung von der Einheit der Christen unter päpstlicher Führung ist dank der Leistung bedeutender Theologen – vor allem auch russisch-orthodoxer Theologen in der Emigration – und einer kirchlichen Neubesinnung auf dem 2. Vatikanischen Konzil in einer gerechtren Einsicht in die Problematik der christlichen Einheit gemündet. Die verbreitete soziale Hilflosigkeit nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft und die zunehmende Bedrängnis der Christen im Nahen Osten erfordern weiterhin Unterstützung und helfende Hände durch die Christen Westeuropas.
War die Catholica Unio dank des unermüdlichen Einsatzes von P. Augustin von Galen vor dem 2. Weltkrieg in zahlreichen Ländern Westeuropas und Amerikas vertreten, ist sie nach dem Krieg im wesentlichen in den drei deutschsprachigen Staaten präsent. Seit 1999 führt die Catholica Unio in Österreich den Namen „Andreas-Petrus-Werk“ Sie stellt sich damit unter den Schutz der beiden Gründerapostel der Ortskirchen von Konstantinopel/Istanbul und Rom. Die Umarmung der beiden Brüder steht für die Versöhnung der Kirchen in Ost und West.
Auch der Vorarlberger Johannes-Chrysostomos-Chor, gegründet 1999, möchte diesem Werk der Versöhnung dienen, indem er durch seinen speziellen sängerischen Beitrag und Dienst in Gottesdiensten (Göttliche Liturgie – Hl. Messe, Vespern u.a. nach byzantinischem Ritus) die Spiritualität der östlichen Christenheit den Christen unseres Landes bekannt machen will. Es entspricht ostkirchlichen Traditionen und Prinzipien, dass die Gesänge in der Sprache des Volkes, also hier auf deutsch, gesungen werden. Kirchliche Musik ist im Osten auf die menschliche Stimme beschränkt. Wenn ein paar wenige Gesänge in griechischer, kirchenslawischer oder rumänischer Sprache ertönen, kann die Vielfalt der orthodoxen Völker erahnt werden. Die Gläubigen, die an dieser Form der Gottesdienste teilnehmen, erleben einen Gottesdienst, der alle Sinne anspricht. So ist der Beitrag des Chores, der die Rolle des Volkes übernimmt, auch kein Konzertauftritt sondern Dienst an der Kirche. Wer einmal einen byzantinischen Gottesdienst in deutscher Sprache mitgefeiert hat, hat sicher weniger Schwierigkeiten, in Russland, Serbien, Griechenland, Libanon der Ordnung eines orthodoxen Gottesdienstes zu folgen.
Wie im alltäglichen Miteinander ist Achtung und Wertschätzung eine Voraussetzung für den Frieden zwischen den Völkern. Zudem sind andere Traditionen eine Bereicherung für alle menschlichen Gesellschaften. Wenn wir wirklich katholisch, also allumfassend, allgemein, universal sein wollen, dürfen wir auf den Reichtum der östlichen Christenheit nicht verzichten.
Mag. Norbert Duffner